Interview mit Prof. Dr. Nina Kolleck, Projektleitung von „MetaKLuB“
Frau Prof. Dr. Nina Kolleck leitet das Metavorhaben zur Förderrichtlinie „Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen (MetaKLuB)“ welches verschiedene, vom BMBF geförderte Forschungsprojekte umfasst. Zum 1. April 2023 ist Nina Kolleck durch den Ruf der Universität Potsdam mit dem Metavorhaben von der Universität Leipzig nach Potsdam gewechselt. Vom 20. Bis 22. September 2023 wird in Leipzig und hybrid eine Konferenz zu den Forschungsergebnissen stattfinden.
Projekte wie PaKKT oder KUMULUS untersuchen die Zusammenhänge zwischen sozialer Teilhabe, Infrastruktur und kultureller Bildung – können aus den Erkenntnissen einzelner Studien Strukturempfehlungen für die kulturelle Bildung in ländlichen Räumen abgeleitet werden, die auf sächsische Kommunen und Landkreise übertragbar sind?
In dem Metavorhaben MetaKluB begleiten und unterstützen wir alle Forschungsprojekte der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Förderrichtlinie „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“ des BMBF Rahmenprogramm Empirische Bildungsforschung. Zudem betreiben wir eigene Forschung bzw. Metaforschung. Die Projekte in dieser Förderrichtlinie wurden aus der Perspektive verschiedener Fachrichtungen wie u.a. Erziehungswissenschaft, Politikwissenschaft, Kulturwissenschaft, Soziologie sowie Raumwissenschaft durchgeführt und haben durch ihre vielseitigen Perspektiven und kreativen Methoden neue, spannende Ergebnisse geliefert.
Ein Beispiel dafür ist das Projekt KUMULUS (Kulturell-musische Bildung für Jugendliche des ländlichen Raums), das die Rahmenbedingungen und Gestaltungsräume junger Menschen in Bezug auf kulturelle Bildung in ländlichen Räumen untersucht und von Prof. Dr. Cathleen Grunert sowie Prof. Dr. Birgit Reißig geleitet wurde. Das Projekt konnte u.a. zeigen, dass kulturelle Freiräume für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen unverzichtbar sind. Eine Schlussfolgerung aus dem Projekt ist, dass kulturelle Bildungsinfrastrukturen geschaffen werden müssen, die auf die Bedürfnisse junger Menschen abgestimmt sind, um kulturelle Freiräume zu schaffen. Es stellt sich heraus, dass es zur Herstellung der günstigen Rahmenbedingungen vor allem auch die Unterstützung von politisch-administrativen Institutionen braucht. Doch hier gibt es Spannungen zwischen Pädagogik und Politik, die durch die Wissenschaft vermittelt werden können.
Das Verbundprojekt PaKKT, das u.a. von Prof. Dr. Saskia Bender verantwortet wurde, setzte sich hingegen mit den inneren Regelmäßigkeiten von kultureller Bildung in ländlichen Räumen auseinander. Dabei wurde untersucht, wie kulturelle Bildungsangebote in die Einflussstrukturen der ländlichen Regionen passen und wie sich diese Verhältnisse in Kooperations- und Netzwerkstrukturen widerspiegeln. Die Ergebnisse zeigen, dass es eine Spannung zwischen kultureller Bildung und regionalen Einflussstrukturen gibt, die in den Netzwerk- und Kooperationsstrukturen sichtbar wird. In den untersuchten ländlichen Räumen konnte weniger ein kollektives Miteinander, sondern eher eine Parallelstruktur identifiziert werden. Die Entwicklung und Stabilisierung von kooperativen Beziehungen zeigte sich als instabil und stand in einem Spannungsverhältnis zwischen Aufrechterhaltung und Zerfall.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus den beiden Projekten haben Relevanz für sächsische Kommunen und Landkreise. Es zeigt sich, dass trotz der höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für kulturelle Formate in Sachsen, bedarfsgerechte kulturelle Bildungsformate für junge Menschen in ländlichen Regionen nach wie vor fehlen. Hier besteht Bedarf an niedrigschwelligen und zugänglichen Angeboten. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Digitalisierung eine Chance für die kulturelle Bildung bietet. Politische Interventionen sind notwendig, um flächendeckende Angebote zu schaffen.
Neben politischen Rahmenbedingungen spielen auch regionale Stile eine Rolle bei der Etablierung von kulturellen Bildungsinfrastrukturen in strukturschwachen Räumen. Die Befunde des Projekts PaKKT zeigen, dass trotz Spannungen zwischen städtisch-geprägter kultureller Bildung und ländlichen Räumen, beide nebeneinander existieren können. Eine Ambiguitätstoleranz kann helfen, latente Konflikte zu bewältigen und Angebote aufrechtzuerhalten, obwohl sie nicht von allen begrüßt werden.
Insgesamt können die Erkenntnisse der beiden Projekte dazu beitragen, bedarfsgerechte kulturelle Bildungsangebote in ländlichen Regionen zu etablieren und somit die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen zu fördern. Politische Interventionen und eine Ambiguitätstoleranz sind wichtige Faktoren, um diesen Prozess zu unterstützen.
In Sachsen gibt es seit 2018 das „Landesweite Konzept Kulturelle Bildung“, Jugendberichte und Jugendstudien erfassen zudem regelmäßig die Situation junger Menschen – inwiefern knüpfen die Forschungsergebnisse im Rahmen von MetaKLuB an vorhandene Studien an, um sowohl landes- als auch kommunalpolitisch wirksam zu werden?
Die Forschungsergebnisse des Metavorhabens MetaKluB knüpfen eng an vorhandene Studien und Konzepte in Sachsen an, um landes- und kommunalpolitisch wirksam zu werden. Ein Schwerpunkt des Metavorhabens ist es, mittels eigener Analysen einen umfassenden Überblick zum bisherigen Forschungsstand zu kultureller Bildung in ländlichen Räumen zu verschaffen. Dabei werden potenzielle Desiderate, Herausforderungen und Gelingensbedingungen erfasst.
Die Forschungsvorhaben der Förderrichtlinie adressieren u.a. drei Bereiche, die auch in den Leitzielen des „Landesweiten Konzepts Kulturelle Bildung für den Freistaat Sachsen“ zu finden sind, was eine nahtlose Integration der Forschungsergebnisse in bestehende Studien ermöglicht. Die Erkenntnisse aus den Einzel- und Verbundprojekten der Förderrichtlinie werden mit den Ergebnissen der eigenen Analysen des Metavorhabens MetaKluB zu einem theoretischen Rahmen synthetisiert, was zu einem wertvollen und unvergleichbaren Wissensschatz führt. Auf dieser Grundlage können Desiderate in Forschung und Praxis sowie Gelingensfaktoren identifiziert und unmittelbar an die Landes- und Kommunalpolitik herangetragen werden.
Durch diese Verknüpfung von Forschungsergebnissen mit bestehenden Konzepten und Studien wird sichergestellt, dass die Erkenntnisse aus MetaKluB landes- und kommunalpolitisch wirksam werden und so einen positiven Einfluss auf die kulturelle Bildung in ländlichen Räumen ausüben.
Welcher gezielte Wissenstransfer kann für Entscheider*innen in Politik und Verwaltung hilfreich sein, um regionale oder landesweite Konzepte für gelingende Teilhabe an kultureller Bildung in ländlichen Räumen weiter zu entwickeln?
Die Frage, wie gezielter Wissenstransfer für Entscheider*innen in Politik und Verwaltung hilfreich sein kann, um Konzepte für gelingende Teilhabe an kultureller Bildung in ländlichen Räumen weiterzuentwickeln, ist von großer Bedeutung. Doch wir müssen bedenken, dass es keine allgemeingültige Definition von Wissen gibt und daher kein ideales Konzept für den Wissenstransfer existiert. Unsere aktuellen Forschungsbefunde zeigen, dass Wissen standortgebunden ist und somit ein Transfer in den Kontext der kulturellen Bildung nicht losgelöst von den bestehenden Machtverhältnissen stattfinden kann.
Das Übertragen eines Best-Practice-Wissens ist keine Erfolgsgarantie, da kulturelle Akteur*innen je nach regionalen und ländlichen Gegebenheiten mit Abwehrgesten und Gegenbewegungen konfrontiert werden können. Um Konzepte der kulturellen Bildung erfolgreich fortzuschreiben, ist es daher von entscheidender Bedeutung, die jeweiligen Kommunen und ihre regionalen Eigenheiten einzubeziehen.
Erst auf dieser Grundlage können die neu generierten Befunde der Förderrichtlinie individuell angeknüpft und anschließend weiterentwickelt werden. Daher sollten Entscheider*innen in Politik und Verwaltung eng mit den lokalen Akteurinnen und der regionalen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um ein umfassendes Verständnis für die kulturellen und sozialen Bedürfnisse und Herausforderungen in ländlichen Gebieten zu entwickeln. So kann ein gemeinsames Verständnis für die kulturelle Bildung entstehen, das auf den spezifischen Gegebenheiten und Bedürfnissen der jeweiligen Region basiert und dazu beiträgt, erfolgreiche Konzepte für die Teilhabe an kultureller Bildung in ländlichen Räumen zu entwickeln.