Interview mit Marie Beimen, Initiatorin der Petition „Freiwilligendienst stärken“
Im Mai 2023 startete die damals 19-jährige Marie Beimen aus Schwerte eine Petition, um die Rahmenbedingungen der Freiwilligendienste zu verbessern. Die Petition forderte unter anderem höheres Taschengeld, kostenlose Nutzung des Nah- und Fernverkehrs und verbesserte Teilzeitmöglichkeiten für die Freiwilligen. Mit über 100.000 Stimmen schaffte es die Petition in den Petitionsausschuss des Bundestages, der Marie im September zu einer Anhörung einlud und am 15.11. eine positive Beschlussempfehlung aussprach.
Parallel zu dem Prozess rund um die Petition gab die Bundesregierung im Sommer 2023 bekannt, dass drastische finanzielle Kürzungen für die Freiwilligendienste geplant seien, die unter anderem den Wegfall jedes dritten Freiwilligenplatzes bedeuten würden. Daraufhin reagierten die Träger mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen, um auf die Bedeutung der Freiwilligendienste hinzuweisen.
Freiwillige in Deutschland engagieren sich bereits seit Jahren für Verbesserungen in den Freiwilligendiensten. Was hat dich persönlich dazu bewegt, im Mai 2023 die Petition „Freiwilligendienst stärken“ zu starten?
Die Kampagne „Freiwilligendienst stärken“ ist maßgeblich aus einem Bundessprecher*innentreffen im März 2023 in Berlin erwachsen. Wir haben damals die aktuell schlechte Lage in den Freiwilligendiensten (FWD) analysiert und gemerkt: Das wollen wir verbessern! Zusammen mit allen Verbänden und Formaten der Freiwilligendienste haben wir anschließend die Kampagne gegründet, die auch die Petition an den deutschen Bundestag beinhaltet, welche mit über 100.000 Unterschriften sehr erfolgreich war. Darin setzen wir uns für bessere Rahmenbedingungen und mehr gesellschaftliche Anerkennung für die Freiwilligendienste ein. Wir wollen Zugangsbarrieren abbauen. Ich persönlich habe so viel in meinem FSJ lernen dürfen. Diese Erfahrung sollte jedem Menschen unabhängig der sozialen Herkunft offen stehen. Die Anrechnung des Taschengeldes auf Bafög von Geschwistern, Bürgergeld der Eltern oder auch Unterhaltsansprüche, ist eine soziale Ungerechtigkeit und steht in keinem Verhältnis zu dem enormen Engagement, das Freiwillige tagtäglich für unsere Gesellschaft leisten!
Als wir im März dieses Jahres erstmalig von den Haushaltsplänen für das kommende Jahr 2024 erfuhren, herrschte ein kollektives Entsetzen in unserer „Freiwilligendienst-Bubble“. Ein Schlag ins Gesicht, möchte man fast sagen, nachdem wir zuvor schon mit so vielen Herausforderungen zu kämpfen hatten. Außerdem ist es auch ein fatales Signal für den gesamten sozialen Sektor, für gesellschaftliches Engagement und – nicht zuletzt – für den Stellenwert der Jugend in der deutschen Politik. Wir konnten und wollten das nicht mehr einfach so hinnehmen und darauf hoffen, dass es irgendwann vielleicht besser werden könnte. Wir wollten selbst handeln. Deswegen haben wir in Zusammenarbeit mit unseren Trägern und Zentralstellen eine bundesweite Kampagne „von Freiwilligen für Freiwillige“ ins Leben gerufen, um den Mehrwert unserer Arbeit in den Fokus zu rücken. Alle Programme waren von den drohenden Kürzungen betroffen, weshalb wir es innerhalb dieser Kampagne schafften, gemeinsam zu handeln und mit einer Stimme sprechen. Die Kampagne und unsere Petition verbreiteten sich wie ein Lauffeuer und schon allein damit haben wir etwas erreicht. Aber wir sind noch längst nicht am Ziel, denn öffentliche Aufmerksamkeit für unsere Problematik zu generieren und die drohenden Kürzungen abzuwenden, ist nur die halbe Miete. Unser Hauptanliegen ist und bleibt es, in Politik und Gesellschaft unsere Forderungen nach mehr Anerkennung und Unterstützung endlich sichtbar(er) zu machen und Freiwilligen jeder Herkunft ein so wertvolles Jahr ohne finanzielle Probleme zu ermöglichen. Dafür kämpfen wir tagtäglich und werden auch weiterhin auf uns aufmerksam machen!
Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat empfohlen, den Forderungen der Petition nachzukommen. Im Haushaltsausschuss des Bundes wurden zwar die geplanten Kürzungen für 2024 zurückgezogen, aber angesichts der aktuell unklaren Situation im Bundeshaushalt können wir noch nicht sicher aufatmen. Wie ist deine Einschätzung zur derzeitigen Lage?
Die aktuelle Lage bezüglich des Haushaltes ist auch für uns weiterhin unklar. Nach dem Beschluss der Bereinigungssitzung zur Rücknahme der Kürzungen, haben wir uns natürlich sehr gefreut. Vielen lieben Dank an alle Politiker*innen und Akteur*innen, die sich für uns stark gemacht haben. Kurze Zeit später war es dann wie ein Schock für uns, als der Haushaltstopp verkündet wurde. Nach wie vor blicken wir jetzt mit Spannung und hohen Erwartungen nach Berlin und hoffen auf eine schnelle Einigung in der Politik. Solange wir keine Verankerung der Verpflichtungsermächtigungen für 2025 haben, können wir die Gelder für den Haushalt 2024 nur zu einem geringen Teil verausgaben, da die Bewilligungen und Finanzierung bereits bis August 2024 abgeschlossen sind. Zudem wurde aktuell aufgrund der Haushaltssperre ein Vereinbarungsstopp im BFD verhängt und es bleibt weiterhin unklar, wie es weiter gehen kann.
Wir als Kampagne erwarten, dass der Beschluss zur Rücknahme der Kürzungen unantastbar ist! Wir sind uns natürlich der angespannten und schwierigen politischen Lage bzgl. der Haushaltsdebatte bewusst. Gleichzeitig erwarten wir ebenfalls von der Politik, ihre Versprechen zu halten und nicht als erstes bei den Kindern und Jugendlichen zu kürzen, sondern auf andere Alternativen zurückzugreifen. Die Kürzungen bei den Freiwilligendiensten doch durchzusetzen, wäre ein niederschmetterndes Zeichen mangelnder Wertschätzung gegenüber jungem Engagement, einhergehend mit einem Verlust der politischen Glaubwürdigkeit! Deswegen hier noch einmal der Appel an die Politik: „haltet eure Versprechen – Kürzt uns nicht weg!“
Ein Blick in die Zukunft: Welche Rolle wird die Petition zukünftig in deinem Leben spielen? Was ist deiner Meinung nach wichtig, damit die Aufmerksamkeit für die Freiwilligendienste aufrecht erhalten werden kann?
Mein Freiwilligendienst und besonders die Zusammenarbeit mit FWDstaerken war eine sehr prägende Zeit für mich. Ich durfte wertvolle Erfahrungen sammeln und einen Blumenstrauß an wundervollen Menschen kennenlernen. All diese Erfahrungen, Kontakte und die Erinnerungen an unsere Aktion, die ich dabei gewinnen konnte, haben mir Selbstvertrauen und Stärke gegeben. Egal wie es weitergeht, diese persönliche Bereicherung wird mich durch mein zukünftiges Leben tragen und ich denke, viele der entstanden Freundschaften werden weiterhin Bestand haben. Zudem hat mir die Petition gezeigt, welche Kräfte wir – gerade als junge engagiert Menschen – aktivieren können, wenn wir uns zusammenschließen. Dass wir Gesellschaft aktiv mitgestalten können und vor allem, dass demokratische Aushandlungsprozesse nur gemeinsam möglich sind. Es lohnt sich, zu kämpfen und dranzubleiben! Das werde ich bestimmt auf viele andere Bereiche übertragen können.
Ich hoffe natürlich auch, dass die Petition in meiner Zukunft auf die Art und Weise eine Rolle spielen wird, dass ich mich dann mit aktiven Freiwilligendienstleistenden freuen kann, weil sich die Rahmenbedingungen für sie wirklich verbessert und die FWD insgesamt nachhaltig gestärkt wurden durch die Petition. Wir planen aktuell, die neuen Sprecher*innen mit einzubinden und werden alles geben, um die geschaffenen Strukturen fortzuführen und unsere Bewegung weiterleben zu lassen!
Ich denke, dass die öffentliche Wahrnehmung und auch das Verständnis um die Notwendigkeit des zivilgesellschaftliche Engagements im Rahmen der Petition enorm gestärkt werden konnte. Wir haben alles gegeben. Die gesamte FWD-Landschaft wurde politisch aktiviert und hat auf allen Ebenen auf das junge, besondere bürgerschaftliche Engagement aufmerksam gemacht. Jetzt liegt es meines Erachtens stark bei der Politik, diese Forderungen aus der Zivilgesellschaft umzusetzen und jungen Menschen zu zeigen: (Politisches) Engagement lohnt sich, ihr könnt und sollt mitgestalten.
Ich denke, jetzt sind alle Akteur*innen gefragt. Wir sind an einem Punkt, an dem wir die Weichen für die Engagementbereitschaft in einer Gesellschaft stellen müssen, die von vielen Krisen geprägt wird. Wir können es uns nicht leisten, NICHT in die FWD zu investieren. Der Mehrwert ist für die Gesellschaft, die Einsatzstellen und die Freiwilligen selbst sehr groß. Wenn die nachhaltige Finanzierung sicher verankert wäre und jede Person, die das freiwillig möchte, einen FWD machen und sich auch leisten kann, dann sind die FWD für mich ein wegweisendes Programm für die Förderung der Zukunft. Denn wir brauchen Freiwilligendienste mehr denn je, weil sie als Lern- und Orientierungszeit Zusammenhalt und Demokratie in unserer Gesellschaft stärken. Wir werden uns weiterhin dafür stark machen, dass der mehrdimensionale Gewinn von Freiwilligendiensten gesehen und gefördert wird! Wir werden weiterhin auf die Straßen gehen und auf Demos laut werden! Wir werden keine Ruhe geben und Aktivismus zeigen, bis unsere Forderungen alle umgesetzt werden! Wir werden weiterhin gemeinsam stark sein!