Interview mit Dr. Desiré Brendel, Leiterin der Kinderstation der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Leipzig
Frau Brendel, die Herausforderungen durch Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energie- und Klimakrise sind sowohl für die Akteur*innen kultureller Bildung wie auch für Kinder und Jugendliche mit und ohne Fluchterfahrung groß. Welche Aspekte sind aus Ihrer Sicht relevant für die Planung kultureller Angebote mit Kindern und Jugendlichen um den aktuellen Krisen adäquat zu begegnen?
Im Unterschied zur Pandemie als ständiger, unklarer Bedrohung, die menschlichen Kontakt als potenziell gefährlich einstuft, gibt es im Krieg eine klare Bedrohung von außen und damit verbunden andere mögliche psychische Folgen. Wichtig ist grundsätzlich, dass es wieder kulturelle Angebote gibt, die den Alltag bereichern und Abwechslung schaffen. Vieles ist möglich und zu viele Bedenken sind insbesondere in der Arbeit mit Geflüchteten eher kontraproduktiv. Die Website https://www.refugee-trauma.help bietet gute Hinweise zur Stressbewältigung, die in die Angebote integriert werden können.
Dabei sind Kulturakteur*innen keine Therapeut*innen sondern sollten bei Bedarf vielmehr das Gespräch mit den Erziehungsberechtigten suchen und auf psychiatrische Hilfsangebote/Ambulanzen verweisen.
Außerdem ist Verlässlichkeit derzeit ein wichtiger Punkt. Das Vertrauen in den Alltag muss wieder gelernt werden, da die wiederholten Lockdowns zu Enttäuschungen geführt haben. Routinen und Gruppenregeln zu etablieren und zu kommunizieren kann zudem hilfreich sein, um individuelle Grenzen zu berücksichtigen und Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen. Denn es braucht geschützte, sichere Räume, in denen Gefühle ausgedrückt werden können.
Gut ist es inhaltlich auch einmal aus dem, insbesondere durch die Medien aufrechterhaltenen, „Dauer-Krisenmodus“ herauszukommen und eher an wichtige persönliche Themen, wie die erste Liebe oder Freundschaften anzuknüpfen.
Bei Zukunftsängsten und damit verbundenem Stress kann ein kleiner Realitäts-Check entlasten, denn Deutschland ist ein sicheres Land mit einem guten sozialen Absicherungs- und Gesundheitssystem, einer hohen Lebenserwartung und wenig von Katastrophen betroffen.
Wie können die Akteur*innen kultureller Bildung unterstützt werden, um den derzeitigen Herausforderungen gut gewachsen zu sein?
Vor allem eine gute Selbstfürsorge ist wichtig. Zwei Jahre Pandemie sind auch zwei Jahre mit ungewöhnlicher Mehrbelastung. Viele Lehrer*innen und Mitarbeiter*innen der Kinder- und Jugendhilfe sind ausgebrannt. Entlastungsvorschläge, ob durch Supervision oder Teamgespräche, können hier hilfreich sein, aber auch die Maßstäbe an die Ergebnisse von Projekten etwas niedriger zu setzen, frei nach dem Motto „Es ist gut, dass überhaupt wieder etwas stattfinden kann.“